Hugo Ball Liebeslied für Euphemia
1886 – 1927
O Phemie: uns ist der Mond ein
großes gelbes Tulpenbeet
(Es wälzen keuchend sich vom Horizonte Hollands taube Strahlen).
Vermischt sich Apfelmusgehirn mit Loderherz: kommt Eros viel zu spät
Und wir befinden uns weitaus am wohlsten in der Vertikalen.
Kioske öffneten sich rasch und
Illustrierte schrillen.
Wir treiben Wucher mit dem Kinofilmband!
Wir liebten kilometerweise! Nach des Regisseures Willen!
Und jedes Pfundstück war uns neuer Akte Unterpfand.
Und Euphemie, wenn sentiment
nicht mehr aktuell ist...
Dann fliehen wir nach Monte, Phemie: ich habe drei Systeme!
Du hast nur eins: du bringst die Kavaliere heeme.
Dann erbst du wohl das
Doppelte, weil du so sexuell bist;
Ein Auto blüht uns und ein Landhaus: Abbazzia.
O Phemie: halt die Fleppen blank! Denk an die nächste Razzia!
Hugo Ball Wie bin ich, Herr, im Innern doch betrübt,
1886 – 1927 Daß nur
noch Chiffern meiner Hand entfallen,
Daß meine Worte irr im Raum verhallen.
Wie hat sich meine Sehnsucht überliebt.
In welcher Wüste hast du mich geübt,
Es nicht zu achten, wenn man mich verstieße!
Ein Loblied wollt ich singen im Verliese
Verriegelnd jeden Zugang, den es gibt.
Doch diese Tiefe nun, die mich umhüllt,
Hat keinen Namen mehr, das ich es sage,
Und ein Verlorensein, das mich erfüllt
Strömt eine Trauer aus, vor der ich zage,
Gleich einer Eule vor der Sonne Schild
Starr ich geblendet in die wehen Tage.
Hugo Ball Gefangen
ward ich auf der Himmelsleiter
1886 – 1927 Und tief geführt in
nächtliche Rotunden,
Zermahlen
ward mein Herz in diesen Stunden
Vom
Glockentanze überirdischer Schreiter.
Zerrissen
sah ich alle meine Kleider
Und
aufgedeckt den Purpur meiner Wunden,
Der
Kranz, den ich mir um die Stirn gebunden,
Zerfiel
im Aschenspiel getürmter Scheiter.
Da lag
mein Mund auf ausgestreckten Knien
Im
Staube, daß er nicht Verwesung schriee,
Und
meine Augen wollten nichts mehr sehen.
Ich
fühlte nur der großen Flügel Wehen.
Das
klang wie ein Magnifikat der Frühe
Und
wie ein Flammenschlag aus Opferbränden.
1886 – 1927
Er kreiste um die gläsernen
Pilaster
Und hob die Stimme, daß er
gellend riefe.
Es glänzte seines Fluges
Hieroglyphe
Im Tempelbau der großen
Zoroaster.
Da war’s, als ob der Atem uns
entschliefe.
Es sank sein Haupt, wie eine
Riesenaster,
Umhüllt von schweren Schwingen
seiner Laster
Verschlang ihn eine bodenlose
Tiefe.
Wir sahen’s wohl, und uns
beschlich ein Sehnen
Nach Untergang und
gallgetränkten Tränen,
Zu schlürfen aller Trauermeere
Flut.
Vergiftet fühlten wir das
eigne Wähnen
Und ein Verlangen, uns dort
anzulehnen,
Wo der versunkenste der Engel
ruht.
1886 – 1927
Ich liebte nicht die
Totenkopfhusaren
Und nicht die Mörser mit den
Mädchennamen
Und als am End die großen Tage
kamen,
Da bin ich unauffällig
weggefahren.
Gott sei’s geklagt und Ihnen,
meine Damen:
Gleich Absalom blieb ich an
langen Haaren,
Dieweil sie schluchzten über
Totenbahren
Im Wehbaum hängen aller ihrer
Dramen.
Sie werden auch in diesen
Worten finden
Manch Marterspiel und stürzend
Abenteuer
Man stirbt nicht nur durch
Minen und durch Flinten,
Man wird nicht von Granaten
nur zerrissen.
In meine Nächte drangen
Ungeheuer,
Die mich die Hölle wohl
empfinden ließen.
1886 – 1927
Gleich einer Raupe, die vom
Maulbeerbaume
Die Blätter faßt, daß sie den
Saft verzehre,
Falt ich die Hände fromm zum
Miserere
Genährt von einem immergrünen
Traume.
Aus meines Mundes weißem
Seidenschaume
Spinn ich ein Netz, darin ich
mich verkläre.
Ein starrer Schläfer, den des
Lebens Chöre
Nicht mehr erreichen, hafte
ich im Raume.
Es malen sich in meinen
Dunkelheiten
Die bunten Augen aller
Jahreszeiten,
bis der Verpuppung Mumenschanz
zerbricht.
Dann steige ich aus Hülle und
Gedicht...
Es straffen sich in einer
neuen Sonne
Die schönen Flügel meiner
Todeswonne...
Hugo Ball Der fliegende Holländer
1886 – 1927
Sein Schiff ist eine weiße
Pyramide
Die plötzlich aufsteht aus der
Wetterwand.
Der irren Segel aufgetürmter
Brand
Gleißt wie ein Lichtphantom der
Höllenschmiede.
Der jüngste Tag brach an: Aus
der Kajüte
Stürzt von des Sturms Posaune
übermannt
Wie Lazarus aus seines Grabes
Rand
Die flüchtige Matrosenschar
zum Spriete.
Er aber, der am Mittelmaste
steht
Und der verdammt ist, ruhelos
zu irren,
Der fernen Küste trügender
Prophet,
Der Zauberer und König aller
Sbirren,
Er lächelt nur, wie er
vorüberweht,
Indes die Möwen kreischend ihn
umschwirren.
1886 – 1927
Dreimal gepriesen sei mit
tiefem Neigen
Dein Tag, o Herr, der mich in Zärtlichkeit
So ganz gehüllt hat und so
eingeschneit,
Daß ich die Stille suche, um
zu schweigen.
Es gab die lieblichste der
Engelsgeigen
Mir bis ins Nachtgelände das
Geleit.
Zum Tränenhimmel Deiner
Seligkeit
Sah ich die weißen
Prozessionen steigen.
Im Dreischritt aus den grünen
Grüften hoben
Sich Füße, die vom Rebensaft
gerötet
Es schimmerte das Herz, daß
sie getötet.
Und das sie nun mit
Blütenzweigen loben
Um schwarze Thyrsus-Kreuze
glomm das Feuer
Der Liebe und der wehen
Abenteuer.
1886 – 1927
An lichtgewobener Kette muß
ich hängen
Aus hohen Himmeln in das trübe
Leben
Genötigt leise hin und her zu
schweben,
Weil sanfte Ätherwellen mich
bedrängen.
Man haucht mich an mit Worten
und mit Klängen
Und schon will meine
Flügelwaage beben,
Um die Erschütterungen
aufzuheben
Dreh ich mich in den ewigen
Gesängen.
So sieht man wohl in frommen
Kemenaten
Aus Watte und aus Werg an
einem Faden
Die Geistestaube schweben im
Geviert.
Die lauschet über Kerzen und
Gebeten
Den sieben Gaben und den
scheuen Reden,
Dieweil ein Krönlein ihre
Haube ziert.
1886 – 1927
Oh, königlicher Geist, dem aus
den Grüften
Die Leoparden folgten und
Delphine
Im Tiergeschlecht sahst Du die
Menschenmiene
Gegrüßt von allen Brüdern in
den Lüften.
Die Leier eingestemmt in junge
Hüften
So standest Du umbrandet auf
der Bühne.
Vom Tode trunken summte deine
kühne,
Berauschte Stimme mit den
Blumendüften.
Du kamst aus einer Welt, in
der das Grauen
Die Marter überbot, da war
dein Herz
Zerronnen erst und dann
erstarrt zu Erz.
Durch jede Sehnsucht drang
dein liebend Schauen
Es führten dich die Vögel und
die Fische
Im Jubelchor zum höchsten
Göttertische.
1886 – 1927
Entrückt und nah, belebend und
doch Schein
So seh ich, Liebste, Dich vor
mir errichtet
Ein Umriß, der vor meinen
Blicken flüchtet
Und dem es doch bestimmt ist,
Bild zu sein.
Die Hände haben längst darauf
verzichtet
Zu fassen nach Gestalt von
Fleisch und Bein.
Genug zu wissen, daß Du Brot
und Wein
Und zartes Feuer bist, das
mich belichtet.
Die Augen werden einst in
Moder fallen.
Was war ich ohne Dich? Ein
irres Lallen
Ein Dunkel und ein Rausch der
Bitternisse.
Laß wehen durch mein Wort die
lichten Küsse,
Laß sinken in mein dämmerndes
Gedicht
Vom Brunnenrande her Dein
Angesicht.
1886 – 1927
Wenn
je ich still und ganz mich zu Dir kehre,
dann
mußt Du groß und schweigend mich empfangen
Aus
irrer Dunkelheit kam ich gegangen,
Besorgt,
daß ich Dein lichtes Bild verzehre.
Wenn
ich zu forschen lächelnd Dir verwehre,
Nach
Lust und Leid, die doch auch mir erklangen,
Nach
Stern und Freund, die mir am Wege sangen,
So
wisse, daß ich tiefer Dir gehöre...
Nur
eines war’s, das mich bewegte
Hervorzugehn
aus jedem Ungemach,
Das
eine nur, das fiebernd mich erregte,
Und
das mich schützte, daß ich nicht erlag:
Der
Kinderglanz in deinem Seelengrunde...
Noch
einmal trinken mit berauschtem Munde...
1886 – 1927
der gute
Mann, den wir zu Grabe tragen
Sieht
wächsern aus und scheint erstarrt zu sein
Doch
war er so verliebt in allen Schein,
Daß
man sich hüten muß, ihn tot zu sagen.
Er
liebte es in allen Lebenslagen
Dem
Unerhörten nur Gehör zu leihn.
Umgeben
so von hundert Fabulei’n
kann
man nur zögernd ihm zu glauben wagen.
Drum,
wenn auch jetzt sein schmaler Maskenmund
Geschlossen
liegt und nicht mehr sprechen mag:
er
lauscht vielleicht nur in den Schöpfergrund...
Und
steht dann wieder auf wie jeden Tag.
Laßt
ihn getrost bei seinem Leichenspiele.
er
lächelt schon... und wir sind kaum am Ziele...